36 Grad, und es wird noch heißer
Mach den Beat nie wieder leiser
36 Grad, kein Ventilator
Das Leben kommt mir gar nicht hart vor1
Schreiben wollte ich heute einen Text über Immanuel Kant und die Kunst, die richtige Entscheidung zu treffen … Entschieden habe ich mich für den Badesee und einen Text zum Einfühlen und Durchschwimmen. Es ist Sommer und die Leichtigkeit regiert.
Wenn du stark bist und es aushältst, dass ich einen Schlager als Referenz heranziehe, erkläre ich dir heute, wie du diesen Sommer zum Sommer deines Lebens machst.
Der Sommer meines Lebens
Wann wird's mal wieder richtig Sommer
Ein Sommer wie er früher einmal war?
Ja mit Sonnenschein von Juni bis September
Und nicht so nass und so sibirisch wie im letzten Jahr2
Wann wird’s mal wieder richtig Sommer? Rudi Carrells Schlager will die nostalgische Erinnerung an den perfekten Sommer wecken, der irgendwo in der Wolke einer undefinierten Vergangenheit liegt. „Den perfekten Sommer gab’s nie und Schlagerkitsch ist ja sowieso ein Vergangenheits-Flirt für Sentimentale!“, möchte man da reflexartig ausrufen.
Ja, kann sein.
Ich hatte ihn aber, den perfekten Sommer. Es war 2014, das Abi in der Tasche, die Schule vorbei. Bevor es zum Studium, Ausbildung oder in die weite Welt ging, hatten meine Schulfreunde und ich nur Wiese, blauen Himmel und Wochen voller Freiheit vor uns. In meiner Erinnerung lief jeder Tag gleich ab: Morgens mit dem Fahrrad an den Badesee, Fußball-WM schauen, in die Lieblingskneipe, mit dem Fahrrad heimradeln. Deutschland wurde Weltmeister in Brasilien. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich so ziemlich jedes Spiel dieses Turniers gesehen.
Na gut, in meiner Erinnerung war auch jeden Tag schönes Wetter. Eine kurze Online-Recherche sagt mir, dass Temperaturen und Sonnenstunden im Sommer 2014 eher durchschnittlich waren, ja, es sei sogar einer der regenreichsten Sommer seit der Beginn der Aufzeichnungen gewesen.
Na schön, ich korrigiere. Es war nicht der perfekte Sommer. Es war aber der beste Sommer. Der Sommer meines Lebens, bisher.
Crash im Gemüsebeet
Und wo liegt jetzt die Weisheit in Carrells Schlager? Die Vergangenheit zu verklären ist weiterhin keine dolle Idee, das seh’ ich ein. Es steckt aber noch eine weitere Ebene im Text und ich bin mir mindestens relativ sicher, ich hitze-halluziniere sie nicht: Es steckt eine Zukunftshoffnung darin („wann WIRD’S mal wieder …?“). Sie spricht von einem Ideal, das in der Vergangenheit schon einmal aufgeblitzt ist. Und da kriegt er mich, dieser ölige Schlager aus den 70ern.
Ideale zu haben ist nämlich eine super Sache. Das siehst du sicher ein, auch wenn du Schlager hasst. Ideale geben Richtung, denn sie sind ein Ziel, dem wir uns anzunähern versuchen. Dadurch irren wir nicht planlos und rückgratlos durch die Welt. Sie ermöglichen außerdem Kontrolle über die eigenen Entscheidungen, denn ohne selbst gewählte Ideale müssten wir immer aus einem Gefühl heraus handeln, also reaktiv auf die Reize unserer Umgebung.
Nun kann ein Ideal aber auch abstrakt bleiben und schwer umsetzbar. Ist beispielsweise Liebe eines meiner Handlungsideale, ist der Begriff so groß, dass es schwerfällt, ihn umzusetzen. Knüpfe ich jedoch die Liebe an ein konkretes Beispiel aus der Vergangenheit, wird die Theorie zur Praxis. Ich denke hier an meinen Opa, der mich als kleinen Stöpsel einmal allein mit dem Rasentraktor auf seiner Wiese fahren ließ. Leider vergaß ich zwischendurch, wo die Bremse war und der Traktor samt Bub landeten in Omas Gemüsebeet. Mein Opa war nicht sonderlich sauer. Er holte mich vom Mäher und den Mäher aus dem Dreck.
Als ich ein größer war, durfte ich dann auch mal wieder alleine fahren. Wo die Bremse war, würde ich nicht mehr vergessen. Aus dem Verhalten meines Opas lernte ich, dass Liebe manchmal bedeutet, jemandem etwas zuzutrauen. Und dass man Zeit, Geduld und Offenheit zum Scheitern aufbringen muss, bis jemand sein Potenzial entfaltet. Aber dass es sich dennoch lohnt, an andere und ihr ungeschliffenes Potenzial zu glauben. Einige Jahre später profitierte mein Opa von seinem „Investment“ in mich. Er war nicht mehr agil und ich mähte ganz alleine seinen Rasen.
Proto-Erfahrungen aus der Kiste ziehen
Dass mein Opa mir früh das Vertrauen für seinen Rasentraktor schenkte, würde ich als Proto-Erfahrung bezeichnen, die mir als Beispiel dient, in das Potenzial von anderen zu investieren, auch wenn es manchmal noch nicht sichtbar ist. Bestenfalls werde ich zu einer Person, die gut darin ist, anderen Vertrauen zu schenken und ihr Potenzial zu wecken. Vielleicht übertreffe ich darin sogar irgendwann meinen Opa.
Es lohnt sich, diese Proto-Erfahrungen ab und an aus der Kiste zu ziehen. Sie können uns Vorbild und Ideal werden. Im Hinblick auf deinen Sommer heißt das: Denk zurück an deinen schönsten Sommer bisher, nimm ihn als Proto-Erfahrung, sieh dir die Zutaten an und mach daraus das Rezept für den besten Sommer ever.
Bei mir ist 2014 der Proto. Das Wetter kann ich nicht beeinflussen. Die Fußball-Ergebnisse auch nicht. Aber viele andere Zutaten liegen nicht außerhalb meiner Kontrolle: Ich kann mich auch in diesem Sommer für viel Zeit mit Freunden, frische Luft, Baden im See, Sport und Geselligkeit entscheiden.
Und vielleicht, vielleicht, vielleicht wird’s so dann mal wieder richtig Sommer.
Ein Hoch auf das, was vor uns liegt
Dass es das Beste für uns gibt
Ein Hoch auf das, was uns vereint
Auf diese Zeit (auf diese Zeit)3
2raumwohnung - 36Grad
Rudi Carrell - Wann wird's mal wieder richtig Sommer?
[Der WM-Hit 2014:] Andreas Bourani - Auf uns